Geschichte

Bereits im 14. Jahrhundert weht ein neuer Geist über Europa. Das auf halbem Weg zwischen den großen intellektuellen Zentren Italiens und den Niederlanden gelegene Schlettstadt spielt eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des neuen Gedankenguts. Seine Lateinschule ist eine der berühmtesten im Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation.

Sie vertritt einen innovativen Lehransatz und bildet Hunderte von Schülern in diesem neuen Geist aus. Fast ein Jahrhundert lang, von 1440 bis 1526, steht Schlettstadt im Zentrum der neuen Netzwerke der Wissensverbreitung.

Aus dieser Blütezeit seiner Geschichte bewahrt Schlettstadt ein einzigartiges Zeugnis: die Bibliothèque Humaniste. Die Sammlung umfasst die Pfarrbibliothek und die persönliche Bibliothek von Beatus Rhenanus, die im Laufe der Jahrhunderte durch Ankäufe und Schenkungen von alten Werken ergänzt wurde.

Pfarrbibliothek

Die Geschichte der Pfarrbibliothek beginnt 1452 mit der Schenkung des Schlettstädter Pfarrers Johannes von Westhuss.

Diese großzügige Geste zieht eine Reihe von Bücherspenden, oft durch ehemalige Schüler der Schlettstädter Lateinschule, nach sich.

Die derart entstandene Pfarrbibliothek umfasst Werke für den Gottesdienst sowie Bücher für den Unterricht an der Lateinschule.

Die in der Kirche Saint-Georges aufbewahrten Werke werden mit einer Kette versehen, um sie gegen Diebstahl zu schützen.

Obwohl es bisher keinen Katalog der Pfarrbibliothek gibt, verzeichnet eine 2002 erschienene Studie 160 Bände, die in Manuskripte und gedruckte Bücher aufgeteilt sind und damit den Übergang von der Handschrift zum gedruckten Buch widerspiegeln. Es gibt nur wenige Pfarrbibliotheken aus damaliger Zeit, die so vollständig erhalten sind.

Bibliothek von Beatus Rhenanus

Der in Schlettstadt geborene, ehemalige Schüler der Lateinschule Beatus Rhenanus, vermacht seine Bibliothek bei seinem Tod im Juli 1547 seiner Geburtsstadt. Diese Bibliothek umfasst 423 Bände, mit 1.287 Werken und 41 Manuskripten, die auf diverse Sammlungen aufgeteilt sind, sowie 33 alte Handschriften und 255 handgeschriebene Briefe.

Sie enthält auch Arbeiten, Schulhefte, Unterrichtsnotizen ... Wertvolle Zeugnisse des humanistischen Unterrichts.

Diese bemerkenswerte Sammlung zeugt vom Wissensdurst von Beatus Rhenanus, von seiner Tätigkeit als Korrektor und Herausgeber für die großen europäischen Drucker und seiner Freundschaft mit den größten Gelehrten seiner Zeit, wie Erasmus von Rotterdam. Die Vielfalt der verwendeten Sprachen, der Themen, Autoren, Zeiten und Orte der Veröffentlichungen spiegeln den universellen Geist der Humanisten wider.

Die zunächst in der Stadtkanzlei deponierte und im Stadtarchiv aufbewahrte, dann zum Zoll umgezogene Bibliothek von Beatus Rhenanus kommt schließlich im September 1757 zu den Werken der Pfarrbibliothek in der Pfarrkirche Saint-Georges.

Bereicherung und Erschließung

1840 werden der Bestand der Pfarrbibliothek und der Bestand der Bibliothek von Beatus Rhenanus in der neu gegründeten öffentlichen Lesebibliothek im zweiten Stock des Rathauses untergebracht.

Im Mai 1889 ziehen alle Sammlungen in das ehemalige Kornhaus. Seit damals ist die Bibliothèque Humaniste eine touristische Sehenswürdigkeit, wie aus mehreren Hinweisen in den Reiseführern von Ende des 19. Jahrhunderts hervorgeht. 1958 werden Vitrinen in der großen Halle eingerichtet, so dass einige  bemerkenswerte Werke ausgestellt werden können. Im Zuge der Gründung der interkommunalen Mediathek 1997 erhält diese den Auftrag der öffentlichen Lesebibliothek und die Bibliothèque Humaniste kann sich auf ihre Aufgaben der Konservierung und der Erschließung der Sammlungen konzentrieren.

Die Sammlungen wurden im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts durch Ankäufe und Schenkungen ständig bereichert. Heute bestehen sie aus 460 Handschriften (alt und modern), 550 Inkunabeln (Bücher, die vor dem 1. Januar 1501 in Europa gedruckt wurden) und fast 2.500 gedruckten Büchern aus dem 16. Jahrhundert.

Die Eintragung der Bibliothek von Beatus Rhenanus in das Register des  Weltdokumentenerbes der UNESCO im Jahre 2011 zeugt von der Universalität, der Originalität und dem Wert dieses alten Bestandes.

„Es besteht kein Zweifel an der Authentizität, am außergewöhnlichen Interesse und dem einzigartigen und unersetzlichen Charakter dieser Sammlung“ UNESCO – Memory-of-the-World-Komitee

Neustrukturierung der Bibliothèque Humaniste

2014 startete die Bibliothèque Humaniste ein umfangreiches vierjähriges Umstrukturierungsprojekt.

Mit der architektonischen Umsetzung wurde der weltbekannte Architekt Rudy Ricciotti beauftragt, der unter anderem das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeerraums (MUCEM) in Marseille entworfen hat.

Die Umstrukturierung bewahrte das neoromanische Aussehen des Kornhauses. Zusätzliche Flächen wurden durch einen Anbau aus rosafarbenem Sandstein und den Ausbau der Untergeschosse für die Reserven geschaffen.

Mit der museografischen Gestaltung der ständigen Ausstellung wurde das Atelier A Kiko beauftragt.

Ein architektonisches Projekt „zwischen Erbe und Modernität“
Rudy Ricciotti